Die Rezitation von Sutras und Dharanis

Die Zeit für das Rezitieren von Sutras und Dharanis ist frühmorgens, gleich nach dem Aufstehen, nachmittags und abends vor dem Zubettgehen.

Rezitieren unterscheidet sich vom Singen dadurch, daß, vom Zwerchfell ausgehend, ein gleichbleibender, möglichst tiefer Ton erzeugt wird. Für die Übung ist es wichtig, die Zazen-Haltung einzunehmen, entweder auf einem Sitzkissen, auf einem Bänkchen oder auf einem Stuhl. Wir halten den Text in Augenhöhe, so daß wir mit aufrechter Wirbelsäule sitzen.

Am häufigsten wird das Herz Sutra rezitiert, sehr oft auch das Lebensverlängernde Zehnteilige Kannon Sutra, das siebenmal oder öfter wiederholt wird. Anfänger können auch zunächst ein einfaches Mantra wie Om Mani Padme Hum wählen und es mehrmals vor und nach dem Zyzen rezitieren. Atme tief ein und beginne mit dem ausströmenden Atem: om-ma-ni. Atme dabie vollkommen aus. Nun atme wieder ein; beim Ausatmen: pad-me-hum.

Rezitieren ist eine ausgezeichnete und sehr wohltuende Übung, deren Nutzen sich niemals erschöpft. Der Sinn der Sutras und Dharanis wird uns offenbar und ist erfüllt, wenn wir mit ganzer Hingabe rezitieren. Im Lotos Sutra wird uns zum Beispiel gesagt, daß wir durch seine Rezitation Befreiung finden. Das Enmei Jukku Kannon Gyo wird das Lebensverlängernde Sutra genannt. Auf welche Weise werden wir jedoch befreit, und wodurch ermöglicht das Rezitieren ein langes Leben?

Wir werden auf vielfältige Weisebefreit. Abgesehen davon, daß wir beim Rezitieren in eine Schwingung eingehen, die das ganze Universum durchdringt, geschieht es zunächst und im Wesentlichen durch das Tun selbst. Indem wir völlig in der Übung des Rezitierens aufgehen, werden Körper und Geist in Harmonie mit dem Stura oder Dharani versetzt und verwirklichen sich gemeinsam als Klang und vor allem als Atem.

Das Rezitieren fördert die tiefe und rhythmische Bauchatmung und stärkt so die Kräfte des Körpers und die geistige Festigkeit. Indem wir uns völlig auf jede Einzelsilbe konzentrieren, ist es so, als ob wir uns beim Einatmen die Silben tief einverleiben und sie dann beim Ausatmene voll und kräftig wieder hervorbringen.

Nacheiniger Übung läßt sich feststellen, daß der Atem tiefer und länger wird und ein Ausatmen viele Silben umfaßt. Diese tiefe und kontrollierte Bauchatmung mit der gleichmäßigen Abfolge von Anspannen und Entspannen hat sehr nutzbringende Auswikungen auf das gesamte autonome Nervensystem. Es beruhigt Geist und Körper, reguliert Herzschlag und Blutdruck, nimmt Angst und verhilft dazu, in Augenblicken der Gefahr die Ruhe zu bewahren. Die innere Gelassenheit wird wiederhergestellt, und die Energie kann ungehindert fließen.

Rezitieren ist eine Übung, die das ganze Sein einbezieht und es vermittelt uns eine tiefe Erkenntnis und verhilft uns dazu, ganz in dem gegenwärtigen Moment zu leben. Die Rezitation ist letztlich alles, was wirklich ist.

Gesshin Myoko Prabhasadharma, Roshi

18. Januar 2019